Karlos!

Text: Friedrich Schiller (Einrichtung: Zeha Schröder) - Darsteller: Stefan Nászay, Zeha Schröder - Regie: Anke Winterhoff - Ort: Zwinger, Promenade / Höhe Kanalstraße, MS - Dauer: ca. 65 Minuten - Premiere: 31.05.2017
Eine ungekürzte Aufführung von Schillers „Don Karlos“ würde rund sieben Stunden dauern – länger als jedes andere Stück von Schiller. (Oder Goethe. Oder Shakespeare.) Beteiligt wären zwanzig Darsteller und mindestens ebenso viele Komparsen. Ungefähr alle Viertelstunde gäbe es einen kompletten Szenenwechsel, insgesamt etwa zwei Dutzend.

Mit „Karlos!“ nehmen sich die Theatermacher von Freuynde + Gaesdte das wuchtige Stück gehörig zur Brust und bearbeiten es radikal. Haupt- und Nebenfiguren fliegen reihenweise über Bord, die ständig wechselnden Schauplätze werden durch einen einzigen schmucklosen Raum ersetzt, und die komplexe Handlung wird konsequent aus einem einzigen Blickwinkel betrachtet: Freundschaft.

Das Setting ist angelehnt an den Beginn des fünften Aktes: Karlos, unter Arrest gestellt, erhält Gefangenenbesuch von seinem Jugendfreund und Vertrauten Posa. Das Stück beginnt quasi in der Katastrophe – und folgt dann einer Rückwärts-Dramaturgie, die Ähnlichkeiten mit Christopher Nolans „Memento“ aufweist: Im vertraulichen Gespräch entfaltet sich die Vorgeschichte der Rahmenhandlung. Die Protagonisten tauschen Informationen und Erinnerungen aus, schildern Szenen, die der jeweils andere nicht erlebt hat, und durchleben die diversen Stationen von Neuem.

Nach und nach erfahren die beiden Charaktere (und mit ihnen die Zuschauer), wie sie in die jetzige Situation geraten sind, von welchen Motiven und (Fehl-)Informationen sie geleitet wurden. Missverständnisse werden geklärt, Lügen aufgedeckt, Komplotte enttarnt. Das geht nicht ohne gegenseitige Vorwürfe vonstatten, auch nicht ohne Ungerechtigkeiten und haltlose Unterstellungen. Und letztlich kann es die beiden Protagonisten auch nicht mehr retten; die Tragödie nimmt ihren Lauf, ganz in Schillers Sinne …

Ein dichtes, stilles Zwei-Personen-Stück also anstelle eines Massenspektakels und Historiendramas. Zwei Menschen, die berichtend und sich erinnernd eine Art Operation am offenen Herzen ihrer Freundschaft vornehmen. Und eine Regisseurin (Anke Winterhoff), die sich immer mehr zur Spezialistin für komplexe Männerbeziehungen entwickelt - zuletzt im Dokumentarstück „John Maynard“ (2015) und dem Eifersuchtsthriller „Der Draug“ (2016).